Von der Leyen wiedergewähltWas in ihrem digitalen Fahrplan steht

Die alte und neue Kommissionpräsidentin hat Leitlinien für ihre zweite Amtszeit vorgestellt. Europa soll mehr KI entwickeln, das Personal von Sicherheitsbehörden soll verdoppelt und verdreifacht werden, das Buchen von grenzübergreifenden Zugfahrten einfacher werden. Die Chatkontrolle wird nicht erwähnt.

Das Parlament wählt Ursula von der Leyen erneut zur Kommissionspräsidentin.
Das Parlament wählt Ursula von der Leyen erneut zur Kommissionspräsidentin. CC-BY 2.0 European Parliament

Gestern hat das Europäische Parlament Ursula von der Leyen wiedergewählt. Sie wird die EU-Kommission weitere fünf Jahre als Präsidentin leiten – und in dieser Zeit wahrscheinlich weiter die mächtigste Frau der Welt bleiben.

Für sie gestimmt haben große Teile ihrer eigenen Partei, der Europäischen Volkspartei (EVP). Aber auch viele Sozialdemokraten, Liberale und Grüne. Zumindest sagen die Abgeordneten das jetzt, denn die Abstimmung war geheim. Eine andere Kandidatin gab es nicht: Im aktuellen EU-System schlagen die Regierungschefs eine Kandidatin vor. Das Parlament kann dann nur noch Ja oder Nein sagen.

Um sich die Stimmen der Mitte-Fraktionen zu sichern, hatte von der Leyen in den Wochen vor der Wahl intensiv verhandelt. EVP, Sozialdemokraten und Liberale hatten zwar rechnerisch genug Stimmen – es war aber klar, dass manche Abgeordnete aus diesen Fraktionen ausscheren würden. Die Sozialdemokraten hatten außerdem zur Bedingung gemacht, dass von der Leyen nicht mit den rechten Europäischen Konservativen und Reformern verhandeln durfte. Damit blieben nur die Grünen als zusätzliche Unterstützer.

Am Ende dieser Verhandlungen standen gestern die politischen Leitlinien der Kommission für die nächsten fünf Jahre. Sie sind ein ziemlich bunter Mix, mit einer Basis von EVP-Ideen und einer Garnitur aus Vorschlägen der anderen Fraktionen. Einige digitale Stichpunkte: Kinder schützen, Sicherheit, Verteidigung, Daten und KI.

Mal wieder kein Wort zur Chatkontrolle

„Ich glaube, dass der Schutz der psychischen Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen, insbesondere im Internet, eine unserer größten Herausforderungen dieses Jahrzehnts ist“, heißt es in den Leitlinien. Dieser etwas unerwartete Fokus fand sich vorher im Forderungskatalog, den die Sozialdemokraten für ihre Verhandlungen mit von der Leyen aufgestellt hatten.

Darin hatten sie aber auch klar geschrieben: Die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung soll gestärkt werden. Vielleicht auch deshalb findet sich in den politischen Leitlinien keine Erwähnung des Chatkontrolle-Vorschlags, den die Kommission bis zum Ende der letzten Amtszeit vorangetrieben hat.

Das Gesicht hinter der Chatkontrolle war bisher die jetzt ehemalige EU-Innenkommissarin, Ylva Johansson. Sie stand mit voller Energie hinter dem Vorschlag und beschuldigte ihre Kritiker:innen auch schon mal, Falschinformationen zu verbreiten.

Sie wird nicht mehr Teil der nächsten Kommission sein: Schweden hat an ihrer Stelle Jessika Roswall von der regierenden, konservativen Moderaten Sammlungspartei als EU-Kommissarin nominiert. Sie ist aktuell Ministerin für EU-Angelegenheiten. Welchen Posten sie in der Kommission übernehmen wird, ist noch unklar.

Kinder trotzdem schützen

Genauso unklar ist, was die personelle Neuaufstellung oder die fehlende Erwähnung des Chatkontrolle-Vorschlags in den Leitlinien genau bedeuten wird. Die Verhandlungsmusik spielt gerade sowieso bei den Mitgliedstaaten im Rat, wo eine Sperrminorität nach wie vor eine Einigung zur Chatkontrolle blockiert.

Eine umgestimmte EU-Kommission könnte aber in den abschließenden Trilogverhandlungen für weniger Überwachung plädieren – oder den Vorschlag sogar ganz zurückziehen. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass auch eine neue Innenkommissar:in die Chatkontrolle weiter vorantreiben wird.

Was will von der Leyen also stattdessen im Bereich Kinderschutz tun? Sie will eine EU-weite Untersuchung dazu einleiten, wie sich soziale Medien auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen auswirken. Außerdem will sie gegen suchterzeugende Gestaltung von Online-Diensten vorgehen – etwa endloses Scrollen, automatische Wiedergaben und ständige Push-Benachrichtigungen. Dazu soll es einen „Aktionsplan gegen Cyberbullying“ geben.

Einfacher Zugtickets in Europa buchen

Ein weiterer Plan ist von den Grünen abgeschrieben: Menschen sollen Tickets für Zugreisen über europäische Grenzen hinweg auf einer Plattform buchen können, auch wenn sie dabei mit mehreren Unternehmen fahren. Von der Leyen kündigt dafür sogar schon konkret eine Verordnung an, also die Art EU-Gesetz, bei der die Mitgliedstaaten in der Umsetzung weniger in den Sand setzen können.

Mit diesen einheitlichen Diensten soll man in Zukunft auch Anspruch auf Rückerstattungen haben, wenn sich einer dieser Züge verspätet. (Eine kleine Anmerkung: Offen verfügbare Daten zu Verspätungen wären auch sehr praktisch.) Solche Buchungsdienste sind bei Flugreisen bereits gang und gäbe und erleichtern das Buchen von mehreren zusammenhängenden Reisen. Nun soll auch das klimafreundlichere Zugfahren so attraktiver gemacht werden.

Daten einfacher austauschen

Künstliche Intelligenz findet von der Leyen sehr wichtig. Um KI besser entwickeln zu können, muss Europa ihrer Meinung nach „das ungenutzte Potenzial von Daten ausschöpfen“. Dafür plant sie eine Strategie für eine Europäische Datenunion: einen „vereinfachten, klaren und kohärenten Rechtsrahmen“, in dem Unternehmen und Verwaltungen „nahtlos und in großem Maßstab“ Daten austauschen können. Unter Wahrung hoher Datenschutzstandards, versteht sich.

Die beiden großen Digitalgesetze ihrer ersten Amtszeit, zu digitalen Diensten und digitalen Märkten, sollen in den nächsten fünf Jahren intensiver durchgesetzt werden. Bei E-Commerce-Plattformen scheint von der Leyen dagegen noch Tatbedarf zu sehen. Hier fordert sie „wirksame Zoll-, Steuer- und Sicherheitskontrollen“: ein Verweis auf die verschiedenen Konflikte zwischen der EU und den chinesischen Plattformen Shein und Temu in den letzten Monaten.

Mehr von allem für Sicherheitsbehörden

Ansonsten geht es in den Leitlinien viel um Sicherheit – innen und außen. Das Personal von Europol soll verdoppelt werden, das von Frontex verdreifacht. „Jedes Todesopfer im Mittelmeer ist eines zu viel“, deshalb brauche Frontex mehr Überwachungskapazitäten, steht dort zynischerweise. Auch ansonsten sollen Polizeibehörden „geeignete moderne Instrumente für den rechtmäßigen Zugriff auf digitale Daten“ bekommen. Natürlich, ohne die Grundrechte anzutasten.

Das sind allerdings Wahlversprechen. Wie sehr die Behörden tatsächlich vergrößert werden, wird sich bei der nächsten Verhandlung zum EU-Haushalt herausstellen.

Im Verteidigungsbereich soll die EU zur Cybersicherheit mit der NATO kooperieren und eine gemeinsame Cyberabwehr aufbauen.

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